THE BEST FISM EVER – das verspricht die Werbung seit längerer Zeit. Über 2500 Besucher, ca. 120 Händler, über 100 Vorführende, über 100 Wettbewerbsnummern, Galas, Diners, Special Workshops, Late Night Sessions, Bier, Spaghetti. Wow! Das klingt überwältigend (außer dem Bier und den Spaghetti) und ich habe mir hundert Mal überlegt, ob ich diesmal dabei bin. Meine vielen italienischen Zauberfreunde, das Land, ein Weltkongreß mit vollem Programm, was will man mehr. Jeder redet davon, viele gehen hin. Ist ja immerhin nur alle drei Jahre! Da kommt man schon ein wenig ins Grübeln…
Erst heute haben wieder Bekannte gefragt, ob ich auch nach Rimini fahre. Ich werde nicht nach Rimini fahren, und das hat verschiedene Gründe.
Ich habe hier etwa 1800 E‑Books, dazu noch jede Menge richtige Bücher. 50 Kisten mit Tricks und Zaubersachen, die sich in den letzten drei Jahren angesammelt haben, nicht zu denken an das „restliche“, was bei mir im Keller liegt. Material (vor allem nicht aufgearbeitetes) ist mehr als genug vorhanden. Zu viel. Ich habe für die nächsten 10 Jahre genug Tricks, an denen ich arbeiten kann. Die Moleskines sind randvoll. Noch mehr Material? Das schafft selbst Alexander de Cova nicht.
Die BURNERS werden gerade geschrieben, Band 4 ist in der Mache, ich habe schlicht keine Zeit dafür, die Woche fehlt mir dann. Nicht zu vergessen die Erholungstage nach so einem Mammut-Kongreß. Die Seminartour im Herbst muss vorbereitet werden. Das Auto muss in die Inspektion und ich sollte noch den einen oder anderen Reel auf der Button Box einstudieren.
75 (!) Seminare in sechs Tagen – wer soll das schaffen? Ich sicher nicht. Vor allem: Man kann das doch nicht alles verarbeiten. Wohin danach mit dem ganzen Wissen und dem wieder neu dazu gekauften Zauberkrempel? Digital aufarbeiten und bunkern? Aus meiner Erfahrung lese ich sowas dann gar nicht mehr, bzw. vergesse, dass ich es im Archiv habe. Alleine die Anzahl der Seminare und deren Inhalt ist soviel Material, dass man sicher ein oder zwei Jahre bräuchte (bei intensiver Beschäftigung mit der Materie), um das alles zu verarbeiten bzw. auch zu erlernen und dann vorzuführen. Selbst wenn man eine sehr genaue Auswahl trifft. Ich denke, das nennt man „Information Overload“. Ausserdem habe ich keine Kartons mehr zu Hause zum Archivieren, die müsste ich auch noch besorgen.
Reizen würde es mich irgendwie schon, aber vorrangig, um wieder einmal alte Freunde persönlich zu treffen und mit ihnen plaudern zu können. Natürlich auch einmal die eine oder andere Legende in Person wahrzunehmen. Die Erfahrung bei solchen Riesen-Events ist aber, dass man manche Leute nur einmal sieht während der gesamten Tage (und dann oft nur kurz) und manche gar nicht. Das führt womöglich dazu, dass man die ganze Zeit mit seiner Clique herumhängt, womöglich noch die Reisegruppe von Zauberfreunden, mit denen man mitgefahren ist. Das kann ich aber auch hier in Deutschland haben. Vor ein paar Jahren in Blackpool ist mir das passiert, denn dort war ich fest in der Rauchergruppe vor der Tür integriert. Wir hatten aber viel Spaß.
Wo sind nur die Zeiten hin, in denen die Kongresse überschaubar waren, gemütlich und stressfrei? Damals konnte man zwei Tage lang in Ruhe miteinander reden und sich jedes Seminar in Ruhe ansehen. Die Gala konnte genossen werden, ebenso wie die Händlermesse, durch die man nicht wie ein gejagtes Tier hetzen musste, um ja nichts zu versäumen.
Zauberkongresse sind Großveranstaltungen geworden, und das schon seit einigen Jahren. Es wird nur noch mit Superlativen geworben, und mit dem schlechten Gewissen, das man bekommt, wenn man es „versäumt“. Ich weiß zwar nicht, wohin das letztendlich führen soll, dass ein jeder alles und vor allem das „Neueste“ wissen oder haben muss, aber ich kann den Lauf der Zeit nicht verändern. Ich denke, der Fokus rutscht in unserer Branche immer mehr weg von der eigentlichen Zauberei auf die Aspekte des Social Media. Magic 2.0 eben. Dabei sein ist alles, mitreden sowieso, und wenn ich mir dann die Twitter, Facebook, Selfies und was-weiß-ich-Flut von Social Media Mitteilungen ansehe, wird mir schwindelig. Wahrscheinlich wäre es aber erträglich, zumal ich sowieso die meiste Zeit draussen vor der Tür beim Rauchen wäre.
Ich mag keine Großveranstaltungen. Unmengen von Menschen, die zur Masse werden. Ich mittendrin. Da wird mir Angst und Bange. Ich hasse die Hektik, die bei solchen Veranstaltungen entsteht. Die mangelnde Gemütlichkeit. Ich mag es nicht, andauernd bei Veranstaltungen auf eine Videoleinwand blicken zu müssen, weil der Saal zu groß ist. Ich mag auch nicht meine Geheimnisse teilen mit Menschen, denen ich schon auf den ersten Blick ansehen kann, dass sie keine richtigen Zauberer sind, sondern allerhöchstens „Fans der Magie“, und bei denen ich mich dauernd fragen muss, warum die eigentlich auf einem Fachkongreß herumturnen. Und von diesen Menschen gibt es immer mehr.
Ich stehe auch nicht besonders auf überfüllte Pubs, Cafes und Bistros, in denen ich mir permanent schmuddelige Kartenspiele in unansehlichen Händen ansehen muss, und diese (die Karten, nicht die Hände) auch noch berühren muss. Ich kann die ganzen Griffe (ohne eine vernünftige Routine dazu) nicht mehr sehen, und deswegen stehe ich bei solchen Pub-Situationen auch meistens draussen beim Rauchen …
Der wichtigste Grund aber, nicht nach Rimini zu fahren, ist für mich: Wenn ich so viele hervorragende Zauberer aus aller Welt sehe, mit ihren tollen Ideen und fantastischen Effekten, dann fühle ich mich eingeschüchtert. Stelle dann viele meiner eigenen Kreationen in Frage, verändere, wo nichts verändert werden müsste und halse mir viel zu viele unnötige „neue“ Dinge auf. Ich denke, dass viele hier besser, befreiter und zufriedener zaubern würden, wenn sie sich nicht diese, psychologischen Stress aussetzen. Ich tue es bewusst aus diesem Grunde nicht.
Glücklicherweise hat sich Hanno Rhomberg mit seinen beiden Mitstreitern dazu bereit erklärt, einen (hoffentlich tagesaktuellen) Blog ins Internet zu stellen, in dem man von zu Hause aus alles bequem verfolgen kann. So läuft bei mir das Layoutprogramm und daneben das Fenster mit dem FISM-Blog auf dem Bildschirm. Besser geht es nicht mehr und das hört sich auch sehr gemütlich an! So hat man dann das überaus wichtige Gefühl, auch „ein klein wenig mit dabei“ gewesen zu sein.
An dieser Stelle DANKE an Hanno und seine beiden Co-Autoren, dass sie uns das ermöglichen. Ich werde mich revanchieren, indem ich den dreien ein BURNERS Vol. 3 Exemplar spendiere (jedem eines!). Dieser Aufwand und der Stress muss doch irgendwie auch mal honoriert werden. Ich wünsche euch die Kraft und Entschlossenheit, eure literarischen Vorhaben umzusetzen und trotzdem noch den Kongreß geniessen zu können. Wir alle freuen uns auf eure Berichte.
Und den Wettwerbsteilnehmern wünsche ich von Herzen: Toi, toi, toi und bringt endlich die verdammten Medaillen nach Hause, damit wir wieder mehr Weltmeister haben! Den anderen wünsche ich eine fantastische Zeit in Rimini und dass jeder möglichst viel wertvolles mit nach Hause nehmen kann!
Ich werde jeden Tag ein Bier auf alle trinken und mit Helena meine Spaghetti essen …