Schon lange wollte ich einmal ein paar Gedanken zu diesem Thema loswerden. Nicht, um zu „jammern“ wie schwer das Seminarbusiness geworden ist, sondern um vielleicht bei den Seminarteilnehmern ein tiefergehendes Verständnis für den Seminarleiter zu wecken.
Seminare sind wichtig, auch in der heutigen Zeit des Information Overloads. Vielleicht sind gerade deshalb professionel präsentierte und inhaltlich gut ausgwogene Seminarvorträge wichtiger denn je. Ohne die Seminare damals im OZ München und in der ZZM wäre ich auch nicht das geworden, was ich heute bin. Ich möchte kein einziges missen.
Ich halte seit vielen Jahren Seminarvorträge vor Zauberern ab, und das sogar in verschiedenen Sprachen in verschiedenen Ländern. Man könnte ein ganzes Buch darüber schreiben, was man da so alles erlebt. Angefangen von der Reise, den Unterkünften, den Seminarorten und natürlich auch den Teilnehmern. Viele sehr schöne Erlebnisse, aber auch viele nicht so schöne.
In den letzten Jahren ist eine schwerwiegende Veränderung der Teilnehmer zu verzeichnen. Waren es früher noch wissbegierige und dankbare Zauberer, sitzen heute immer öfter gealterte, gelangweilte und vor allem notorische Besserwisser im Publikum. Das Altern ist ganz normal, das gelangweilt sein verstehe ich nicht. Wenn mich ein Seminarvortrag nicht interessiert, dann bleibe ich doch zu Hause! Dennoch glauben viele, sie müssen ihre Indifferenz dem Thema gegenüber und ihre miese Laune am Zirkelabend präsentieren. Und es gibt nichts schlimmeres, als einen gut vorbereiteten Vortrag zu zeigen, bei dem man permanent von einem Heckler unterbrochen wird, der anscheinend das alles schon weiß (und natürlich auch schon hat).
Immerhin hat man sich als ordentlicher Seminarleiter auch gut auf seinen Vortrag vorbereitet, man weiß also (oder sollte es wissen), wovon man spricht. Jeder Vortrag ist wie eine Show zu sehen, abendfüllend und nicht weniger anstrengend als eine „normale“ Show. Manche fragten mich, ob ich denn überhaupt nicht mehr auftrete. Da muss ich zurückfragen: Wenn ich dreißig Abende hintereinander drei oder vier Stunden in den Klubs stehe (Anfahrt, Auf- und Abbau noch nicht eingerechnet), dort meine zwölf Kunststücke zeige und erkläre, mache ich da keine Auftritte?
Sieht man sich die Locations in den Klubs an, so kommt man sich oftmals vor wie auf einem Stammtisch. Ein Nebenzimmer in einer Kneipe, das reicht schon (so scheinen viele zu denken). Gut, ein Profi weiss das und richtet sich entsprechend ein. Ich habe heute keinerlei Probleme mehr, in irgendeinen Raum zu gehen und meinen Vortrag zu halten. Ich tat dies sogar schon auf einer Bierkiste stehend in einem kalten und feuchten Klostergemäuer in Italien! Gaetan Bloom berichtete mir von einem Seminar, bei dem er den Vortrag in einem Copyshop halten musste (inklusive Laien, die durch die Schaufenster hinein schauten). Auf einer längeren Tour, vor allem im Ausland und in Klubs, die man noch nicht kennt, ist dies wahrscheinlich einer der spannendsten Punkte jeden Tag: „Wo werde ich heute Abend mal wieder landen?“
Apropos Reisen: Viele unterschätzen, was eine Seminartour für einen Stress bedeuten kann. Fährt man mit dem Zug, dann gibt es viele Probleme: Gepäck, umsteigen, Zugausfälle, Taxis vom Bahnhof zum Hotel, etc. Fährt man die Tour mit dem Auto, hat man zwar das Transport- und Gepäckproblem halbwegs im Griff, dagegen stehen jedoch der Stress und das Risiko auf den Autobahnen. Es ist schon vorgekommen, dass ich 1000 Kilometer in der Nacht von Graz nach Düsseldorf gefahren bin. Ohne Schlaf dann sofort in den Seminarraum, es blieb nicht mal Zeit für eine Tasse Kaffee. Manchmal geht es auf den Strassen heute derart zu, dass man bei bester und rechtzeitiger Planung und Abfahrt erst kurz vor knapp die Location erreicht. Dann werden alle nervös und man holt sich die obligatorische Schelte ein, wo man denn geblieben sei. Niemand wird aber nervös, wenn dann Klubmitglied Soundso natürlich wieder mal die halbe Stunde zu spät ins laufende Seminar platzt, weil „er soviel Stress hatte“. Tausendmal erlebt. In den vielen Jahren habe ich auch schon mehr als einen Seminarleiter erlebt, der mitten in der Tour abgebrochen hat, weil er den Stress einfach nicht mehr bewältigen konnte.
Wer heute meint, dass man mit Seminaren vor Zauberern reich wird: aufgepasst! Die Gagen für einen Seminarvortrag (wenn man die noch als solche bezeichnen kann) sind derart in den Keller gerutscht, dass ich mir oft denke, warum ich das alles auf mich nehme. Um halbwegs finanziell aus der Sache rauszukommen, ist es dann natürlich notwendig, etwas zu verkaufen. Und selbst wenn der Verkauf ganz gut läuft, dann ist fraglich, ob nicht an diesem Abend eine vernünftige Show besser gewesen wäre. Die meisten vergessen, dass man ja die Sachen einkaufen, herstellen oder sonst wie beschaffen muss, Arbeitskräfte um sie herzustellen bezahlen muss, etc. In den USA werden so gut wie keine Gagen für Lectures mehr bezahlt, weil man ja den Umsatz aus den Verkäufen generieren kann. „The lecturer has the oppurtunity to make his sales in our club, so why should we pay him a reasonable fee?“
Trotzdem enthüllt ein guter Seminarleiter in seinen Vorträgen oft Dinge, für die er viele Jahre gebraucht hat, Techniken, die lange Entwicklungszeit benötigten, Praxiswissen, das oftmals unbezahlbar ist, ganz abgesehen von den vielen neuen Ideen. Ich denke, dass die Zaubererszene die Sache mit den Seminaren ein wenig ernster nehmen sollte, und vor allem die guten Seminarleiter respektvoller behandeln, was die Wertschätzung des dargebotenen Materials angeht. Wenn ich mit normalen Menschen rede, die im Leben stehen, dann sind die oftmals richtig erstaunt, dass wir Zauberer unsere Geheimnisse so offen teilen. Es ist nicht in allen Branchen so einfach wie bei uns, an wichtiges und wertvolles Wissen zu gelangen.
Will man nicht wie viele der Kollegen aus Übersee eine reine Verkaufsveranstaltung aus einem Seminarvortrag machen, dann sollte man sich sehr genau überlegen, welche Inhalt man hinein bringt. Seminare, die sich auf ein einziges Thema beziehen, kommen aus meiner Erfahrung nicht so gut an wie Vorträge, bei denen es eine bunte Mixtur zu sehen gibt. Ich spreche von den „normalen“ Zirkelseminaren, nicht von denen auf Kongressen, wie z. B. der MMC, bei der bewusst themenbezogene Vorträge abgehalten werden.
Paul Gertner sagte einmal, dass es ihm lieber wäre, in einem Seminar einen einzigen Trick (in seinem Fall nannte er das Seilzerschneiden als Beispiel) richtig erklärt zu bekommen als zehn verschiedene neue Tricks. Natürlich hat er damit Recht, und das ist auch ein Punkt, über den man wirklich einmal ernsthaft nachdenken sollte, aber die Realität in diesen Landen zeigt, dass damit die Leute nicht zufrieden wären. Man kennt ja alles schon! Nur ein Trick, was? Wir wollen was neues sehen! Und davon möglichst viel!
Ich bin immer sehr gut gefahren mit meiner „bunten Mischung“, die die meisten zauberischen Bereiche abdeckt und somit sicherstellt, dass eine möglichst große Anzahl an Zauberern vom Vortrag etwas hat. Die Auswahl fällt trotzdem jedesmal sehr schwer: habe ich das richtige dabei? Wäre nicht der Trick oder jener besser gewesen?
In den letzten Jahren ist es auch Mode geworden, dass Mitglieder aus den eigenen Reihen Seminarvorträge abhalten, zu einem X‑beliebigen Thema. Ich durfte selbst einigen dieser Veranstaltungen beiwohnen und es war einfach nur krass. Ich denke auch nicht, dass es gut ist, wenn Leute, die selbst Anweisungen nötig hätten, anderen diese Anweisungen und Ratschläge versuchen zu geben. Das zieht das Niveau der Zauberei gehörig hinunter. Leider aber eine immer häufiger anzutreffende Praxis, oftmals mit „das schont die Vereinskasse“ gerechtfertigt. Seminarvorträge sollten nur von Leuten abgehalten werden, die ihre Sache verstehen, etwas wissenswertes anzubieten haben und die das schon öfter auf einem professionellen Niveau durchgezogen haben. Alle anderen nehmen den Profis in diesem Bereich die Butter vom Brot.
Natürlich werde ich weiter meine Seminartouren fahren, denn ich habe mich inzwischen an diesen Stress gewöhnt und es macht mir auch Spaß, zumal ich sehr gerne Auto fahre und noch lieber unterwegs bin. Ich würde mir nur manchmal wünschen, dass die Leute in den Klubs ein klein wenig mehr darüber nachdenken, wie es wohl sein mag, nach fünf oder sechs Stunden Autobahn in das Hinterzimmer einer Kneipe zu kommen und dort sofort für die nächsten vier Stunden unter Strom zu stehen und seinen Vortrag zu halten. Ich denke, dann würden die Zauberer auch den Business der Seminartouren als das begreifen, was es ist: ein energieraubender, teilweise nervenaufreibender Business. Mit etwas Empathie wäre auch dem Seminarleiter schon oftmals geholfen.
Und jetzt wird weiter gepackt für die anstehende Seminartour BURNERS 2015!