Aus meiner Erfahrung und vielen Gesprächen mit Zauberern online und live weiß ich, dass die größte Schwierigkeit oft darin besteht, eine Routine richtig zusammen zu stellen. Man macht sich Gedanken über die verschiedensten Kleinigkeiten, das Ganze wird immer komplizierter und es dauert immer länger eine Routine auf die Beine zu stellen. Oft verliert man dann auch die Lust und die Sache landet in der Zauberschublade.
Vielleicht liegt es daran, dass viele Routinen, die man heute zu sehen bekommt, einfach zu kompliziert sind. Vielleicht denken auch die Zauberer einfach nur zu umständlich.
Zugegeben — nicht alle Routinen sind gleich und es treffen die nachfolgenden Gedanken auch nicht auf alle Routinen zu. Tricks aus dem Bereichen der Mentalmagie, Bizarre Magie und Storytelling, aber auch Kinderzauberei sind wahrscheinlich etwas anders anzugehen. Ich rede hier von den „kommerziellen“ Routinen, also die typischen Zaubertricks mit Bällen, Seilen, Geldscheinen, Münzen, Karten usw.
Kommerzielle Routinen
Ken Brooke war ein Meister im „Komponieren“ von solchen Routinen. Seine Arbeit zeichnete sich vor allem dadurch aus, dass alles mit einem sehr ausgeprägten Blick für die Wirkung auf das Laienpublikum zusammen gestellt wird. Dazu muss man wissen, dass Ken vor seiner Zeit als Zauberhändler einer der gefragtesten Performer in den Londoner Nachtklubs war. Die Auftrittsbedingungen dort waren hart, viele angetrunkene Leute, die wahrlich anderes im Sinn hatten als Zauberei zu sehen. Die Nummern mussten also kurz und bündig sein und schnell zur Sache kommen.
Bevor er jedoch in den Nachtklubs Engagements entgegennahm, arbeitete er sich durch die „Worker’s Clubs“, vor allem in Nord- und Mittelengland. Dies waren die härtesten Auftrittsbedingungen, die man sich vorstellen kann. Jede Routine, die zu lang war oder nicht unterhaltsam, wurde teilweise mit Bierkrügen quittiert, die auf die Bühne flogen.
Patrick Page hatte auch ein untrügliches Gefühl dafür, wann eine Routine richtig aufgebaut ist und wann nicht. Bei Patrick sieht man eine ähnliche Entwicklung wie bei Ken Brooke: Auch er startete seine Karriere als Performer in den Klubs.
Bei beiden konnte man feststellen, dass der eigentliche Höhepunkt der Routine ziemlich bald passierte. Das beutetet, dass die „Aufbauzeit“, also das Vorstellen der Requisiten und die einleitenden Handlungen relativ kurz gehalten waren.
Beim Gestalten von solchen Routinen, die unter diesen Umständen bestehen, ist es hilfreich, sich diese Aussage vor Augen zu halten: „Der kürzeste Weg zwischen A und B ist eine gerade Linie.“ In unserem Kontext würde das bedeuten, dass man darauf achten sollte, dass der Weg von den einleitenden Handlungen zum Höhepunkt der Routine geradlinig verlaufen und so kurz wie möglich sein sollte.
Das 90–10 Verhältnis
Jemand hat einmal festgestellt, dass bei den meisten Tricks die Relation von Vorbereitungszeit und Effektzeit nicht stimmt. Das bedeutet, dass die Zeit, die für die „Vorbereitung“ des Effekts benötigt wird, in keiner Relation zur Dauer des eigentlichen Effekts steht, meistens ist es ein 90–10 Verhältnis. Von einer 10-minütigen Routine muss der Zuschauer neun Minuten hindurch, in denen die Routine „aufgebaut“ wird, in denen also nicht allzu viel Spannendes passiert. Der eigentliche Effekt, der für die Zuschauer ja das Wichtigste ist, dauert nur eine Minute.
An dieser Aussage ist sicher etwas wahres dran, und darin liegt auch der Grund, warum die meisten Zauberroutinen so langweilig wirken. Der Zuschauer wartet und wartet, bis endlich mal was passiert. Was kann man dagegen tun?
Die Struktur eine Routine
Zunächst einmal ist es hilfreich, sich die grundlegende Struktur eines Zaubertricks anzusehen. Ein Trick besteht (meistens) aus drei Teilen:
A — Einleitung
B — Mittelteil
C — Schluss
Die beiden Teile A und B sind dazu da, die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf die verwendeten Requisiten und das Geschehen zu lenken und eine Ausgangssituation zu etablieren. In Teil C, dem Höhepunkt, passiert dann der eigentliche magische Effekt. Also der Sinn der ganzen Sache.
Ascanio hat eine sehr gute Definition von einem magischen Effekt geschaffen und dabei eine Aussage in dieser Art gemacht: Der magische Effekt ist umso größer, je mehr das Resultat von der Ausgangssituation abweicht. Das bedeutet, wir zeigen den Zuschauern eine Situation, und zeigen dann, dass das von ihnen erwartete Resultat komplett anders ist. Je mehr das Resultat von ihren Erwartungen abweicht, desto stärker der magische Effekt.
Beispiel eines einfachen Seilzerschneidens
Teile A und B dienen dazu, die Ausgangssituation klar darzustellen. Bei der Einleitung stellen wir die „Akteure“, also die verwendeten Requisiten vor.
A — Einleitung: Das Seil und die Schere werden vorgezeigt.
B — Mittelteil: Es wird eine Ausgangssituation für den Zuschauer geschaffen. Das Seil wird in der Mitte (scheinbar) zerschnitten. Die Zuschauer sehen zwei Seile, vier Enden, etc. Die Situation für die Zuschauer ist, dass das Seil nun aus zwei Teilen besteht, was sie klar sehen und von dem sie überzeugt sind. Es ist die Aufgabe des Zauberers, diese Situation gekonnt zu erschaffen.
C — Schluss: Das Seil wird fallen gelassen und die Zuschauer sehen, dass es (entgegen ihrer Annahme) wieder ganz ist. Das war nicht zu erwarten und stellt ein vollkommen anderes Resultat dar. Die Zuschauer sind überrascht und verblüfft. Ende des Tricks.
Dieses Prinzip gilt eigentlich für alle Tricks, vom einfachen Münzverschwinden bis hin zur ausführlicheren Routine. Hier ein paar einfache Beispiele, die das nochmals verdeutlichen sollen:
Münzverschwinden
A — Einleitung: Die Münze wird gezeigt.
B — Mittelteil: Die Münze wird in die Hand gelegt (oder genommen). Die Zuschauer glauben, die Münze befindet sich in der Hand. Die andere Hand wurde leer gezeigt, die Ärmel sind zurückgerollt, etc. Kein Zweifel, die Münze befindet sich in der Hand.
C — Schluss: Die Hand wird geöffnet und die Zuschauer sehen mit Erstaunen, dass die Münze nicht mehr da ist.
Geldschein in Zitrone
A — Einleitung: Ein Geldschein wird geliehen und unterschrieben. Eine Zitrone wird vorgezeigt.
B — Mittelteil: Der Geldschein wird verbrannt oder verschwindet. Für die Zuschauer ist der Geldschein nicht mehr da, und sie wissen nicht, was jetzt passieren wird.
C — Schluss: Der Geldschein erscheint vollkommen unerwartet in der Zitrone.
Tuchfärbung
A — Einleitung: Ein Tuch wird gezeigt. Die Hand wird zur Faust geformt.
B — Mittelteil: Das Tuch wird in die Faust gestopft und kommt unten andersfarbig heraus. Den Zuschauern ist (durch die Präsentation) klar, dass der Zauberer zwei verschiedenfarbige Tücher verwendet.
C — Schluss: Nach der Färbung wird die Hand geöffnet, und die Zuschauer sehen, dass sie leer ist. Wo ist das zweite Tuch?
Kupfer/Silber Münzroutine
A — Einleitung: Eine kupferne und eine silberne Münze werden vorgezeigt.
B — Mittelteil: Der Zuschauer erhält die kupferne Münze und schließt seine Hand um sie. Der Vorführende hat die silberne Münze.
C — Schluss: Der Zuschauer öffnet die Hand und hat plötzlich die silberne Münze, der Vorführende hat die Kupfermünze.
Fragen, die man sich stellen sollte, wenn man einen Trick oder eine Routine analysiert:
- Wie lange dauern die Teile A und B?
- Kann ich A und B verkürzen?
- Was kann unnötiges aus A und B entfernt werden? Vortrag, nicht geplante Gesten, unnötige Laufereien, Aufnehmen und Ablegen von Props, etc.
- Wie kann ich C größer und länger machen?
- Wie kann ich den Impact von C vergrößern?
- Was kann aus C unnötiges entfernt werden?
- Stellt C tatsächlich einen starken Kontrast zu A und B dar?
Liste der unnötigen Dinge, die man leicht übersieht:
- Worte und Floskeln
- Unnötige Gesten
- Unnötiges Aufnehmen und Ablegen von Requisiten
- Unnötige Handhabungen
- Umständliche Griffe
- Zu viele Gimmicks
- Zu komplizierte Gimmicks
- Zu viele Requisiten
- Wiederholungen des Effekts
- Gags
- Stage Waits
- Zu viele Zuschauer auf die Bühne
- Zu lange Musik
- Zu viele Griffe