Da ich der Meinung bin, dass man die richtige Anwendung der Ablenkungstechniken nur lernen kann, wenn man sie routinemäßig anwendet, hier eine kurze Anleitung, wie man die Karten aus dem Misdirection Kit benutzt.
Die Karten sind als Gedächtnisstütze zu verstehen. Die Hauptarbeit bei der Entwicklung deiner Routine wird auf einem Blatt Papier stattfinden. Die Karten nimmst du sozusagen als Gimmick mit. Sie ersparen dir das umständliche Blättern im Buch und ermöglichen dir ein schnelles und zielgerichtetes Vorgehen bei der Bearbeitung der Routine.
Ich gehe davon aus, dass du dich inzwischen mit dem Inhalt der Kärtchen vertraut gemacht hast. Ich habe dir viele Beispiele gegeben, um die einzelnen Punkte zu veranschaulichen. Nun stehst du vor der Situation, eine bereits bestehende Routine mit den Techniken der Misdirection zu verbessern.
Die Liste
Der erste Schritt besteht darin, die Schwachstellen der Routine in Bezug auf die Techniken der Misdirection zu finden. Das geht am einfachsten, indem man jeden einzelnen Handlungsschritt in der Routine auf eine Liste schreibt. Damit meine ich jede einzelne Handlung, sowohl tricktechnisch als auch in der Präsentation.
Dieser Prozess kann vereinfacht werden, indem zunächst ein grobes Gerüst der Routine erstellt wird. In diesem Fall solltest du also bei Null anfangen und die Routine nach den Punkten untersuchen, die im Kapitel »Wie ein Effekt entsteht« beschrieben sind. Die Analyse deiner Routine würde also ungefähr so aussehen:
- Welcher Zustand wird gezeigt?
- Was ist die nächste Handlung?
- Wie ist der Zustand nach der Aktion und was ist anders als das, was der Zuschauer erwartet?
- Was ist der tatsächliche Effekt?
- Welche Lösungen könnte der Zuschauer an dieser Stelle suchen?
- Was kann ich noch tun, um dem Betrachter die Rekonstruktion zu erschweren?
Damit hast du einen ersten groben Überblick darüber, was in der Routine passiert und vor allem, wie alles aus der Sicht des Zuschauers wahrgenommen wird.
Jetzt fängst du an, für jeden dieser Punkte die tricktechnischen und darstellerischen Details aufzulisten. Hier sollte wirklich jede Aktion auf der Liste stehen.
Wenn diese Liste erstellt ist, werden die kritischen Punkte, die sich auf die Tricktechnik beziehen, mit einem Textmarker farbig markiert. Nun geht es darum, für jede Schwachstelle eine Lösung zu finden, die die Tricktechnik kaschiert. Dabei helfen dir die Karten nicht nur, sie machen den Unterschied.
Im Grunde kann man es sich fast wie ein Kartenspiel vorstellen. Du hast einen Schwachpunkt in der Routine vor dir und gehst nun die Karten des Misdirection Kits einzeln durch. Alle Karten (Punkte), die für den jeweiligen Schwachpunkt geeignet erscheinen, legst du beiseite. So einfach ist der Auswahlprozess.
Nachdem du die Kärtchen aussortiert und damit die potentiellen Ablenkungstechniken isoliert hast, machst du dich daran, die Schwachstelle mit Hilfe dieser ausgewählten Techniken zu beseitigen. Hier musst du dir überlegen, ob du deine Grifftechnik, etwas in deinem Vortrag oder die Requisiten ändern musst.
Du wirst schnell merken, dass dir die besten Ideen beim Sortieren der Kärtchen kommen. Die Idee dahinter ist, dass du durch die Auseinandersetzung mit den einzelnen Punkten auf den Kärtchen einen tieferen Zugang zu deiner Routine und den darin enthaltenen Problemen bekommst. Du musst jedes Mal nachdenken und dir vorstellen, ob die auf der Karte beschriebene Technik wirklich eine Lösung für dein tricktechnisches Problem darstellt. Auf diese Weise wirst du gar nicht merken, wie intensiv und tief du dich mit der Routine auseinandersetzt. Die Kärtchen helfen, den ganzen langwierigen Prozess fast spielerisch zu gestalten.
Ein weiterer Vorteil der Kärtchen ist, dass du einzelne Techniken und Punkte nicht vergessen kannst, da sie alle auf den Kärtchen aufgelistet sind. Je öfter du dieses Spiel machst, desto besser prägst du dir natürlich alle Techniken ein. Mit der Zeit wirst du instinktiv die richtigen Ablenkungstechniken für bestimmte Tricks auswählen und die Kärtchen oft gar nicht mehr brauchen!
Auf diese Weise arbeitest du eine Schwachstelle nach der anderen in deiner Routine ab. Das klingt jetzt vielleicht so, als wäre das eine riesige Aufgabe. Dem ist aber nicht so, denn aus meiner Praxis weiß ich, dass man oft schon mit einer kleinen Ablenkungstechnik ein kleines Detail in der Handhabung abdecken kann.
Wer einmal seinen inneren Schweinehund überwunden hat und eine seiner Routinen mit dieser Technik bearbeitet hat, wird garantiert nie wieder anders arbeiten wollen. Die Arbeit mit den Kärtchen macht Spaß, ist effizient und spart eine Menge Zeit. Die Intensität, mit der du an deiner Routine arbeitest, ist unbezahlbar. Ich glaube nicht, dass es einen einfacheren und besseren Weg gibt, eine Routine mit den komplexen Techniken der Verfremdung auszustatten.
Die Fragetechnik
Wenn du mit den Karten bewaffnet an deine Routine herangehst, ist es wichtig, dass du dir bei jeder Schwachstelle des Tricks immer wieder die folgenden Fragen stellst:
- Welche Ablenkungstechnik würde sich eignen, um diese Schwachstelle zu beseitigen oder zu verdecken?
- Wie kann ich diese Schwachstelle am einfachsten und direktesten beseitigen bzw. abdecken?
- Gibt es einen einfacheren Weg, um die Schwachstelle abzudecken?
- Kann ich den Trick noch weiter vereinfachen?
- Kann ich eventuell einen Griff oder eine umständliche Bewegung durch eine subtilere ersetzen?
- Habe ich die einzelnen Techniken wie die dünnen Häute einer Zwiebel um das Trickgeheimnis gelegt?
- Habe ich darauf geachtet, die Tricktechniken und Effekte richtig auf die Aufmerksamkeitszonen zu verteilen?
Prophylaxe und nachträgliche Ablenkung
Es ist sehr wichtig (und wird oft vergessen), diese beiden Arten von Misdirection bei jedem Trick im Hinterkopf zu haben. Es wird wahrscheinlich nicht immer möglich oder nötig sein, sie in einer Routine anzuwenden. Es schadet aber nicht, diese beiden Bereiche von Anfang an in seine Überlegungen mit einzubeziehen. Auch hier kann man sich einige Fragen stellen:
- Kann ich von Anfang an falsche Annahmen bei den Zuschauern provozieren?
- Kann ich am Ende der Routine mit den Techniken der Post-Misdirection etwas hinzufügen, das den Zuschauern die nachträgliche Rekonstruktion erschwert oder sie auf eine falsche Fährte lockt?
- Kann ich bei einer längeren Routine mit mehreren Effekten die Methoden und Effekte zeitlich voneinander trennen und evtl. mit dem Eine-Voraus-Prinzip arbeiten?
- Kann ich in der Schlussphase eines vorhergehenden Effekts heimlich einen neuen Effekt vorbereiten?
Im Laufe der regelmäßigen Arbeit mit dem Verfremdungsset habe ich festgestellt, dass es sich lohnt, sich mit den Techniken der Prophylaxe und der Nachverfremdung zu beschäftigen. Meine Routinen sind besser und raffinierter geworden, und die Ausführung hat sich oft vereinfacht. Normalerweise denkt man nicht an diese beiden wichtigen Bereiche, wenn man sich eine Routine ausdenkt. Aber das wird dir nicht mehr passieren, weil du sie jetzt kennst.