Episches Theaer – damit habe ich mich heute ein wenig auseinander gesetzt und es wird sicher nicht die letzte Session mit diesem Thema sein. Wenn ich also mein Theaterstück inszenieren will, habe ich offensichtlich mehrere Möglichkeiten, dies zu tun.
Ich habe mich deshalb besonders für das Epische Theater von Brecht interessiert, weil es spannend klingt und durch den V‑Effekt (Verfremdungseffekt) sich für die Kombination mit Zauberei anzubieten scheint. Es erscheint mir vollkommen abseits der üblichen Theaterformen zu liegen. Vor allem hat es einen anderen Anspruch an den Zuschauer.
Zuerst einmal eine kurze Analyse, die das Epische Theater dem Aristotelischen Theater bzw. den alten Theaterformen gegenüber stellt:
Aristotelische Form | Epische Form |
---|---|
handelnd | erzählend |
verwickelt den Zuschauer in eine Bühnenaktion | macht den Zuschauer zum Betrachter |
verbraucht seine Aktivität | weckt seine Aktivität |
ermöglicht ihm Gefühle | erzwingt von ihm Entscheidungen |
Erlebnis | Weltbild |
Der Zuschauer wird in etwas hineinversetzt | er wird gegenübergesetzt |
Suggestion | Argument |
Die Empfindungen werden konserviert | bis zu Erkenntnissen getrieben |
Der Zuschauer steht mittendrin | Der Zuschauer steht gegenüber |
miterlebt | studiert |
Der Mensch als bekannt vorausgesetzt | Der Mensch ist Gegenstand der Untersuchung |
Der unveränderliche Mensch | Der veränderliche und verändernde Mensch |
Spannung auf den Ausgang | Spannung auf den Gang |
Eine Szene für die andere | Jede Szene für sich |
Wachstum | Montage |
Geschehnisse linear | in Kurven |
evolutionäre Zwangsläufigkeit | Sprünge |
Der Mensch als Fixum | Der Mensch als Prozeß |
Das Denken bestimmt das Sein | Das gesellschaftliche Sein bestimmt das Denken |
Gefühl | Ratio (Verstand, Vernunft) |
Idealismus | Materialismus |
Daher ist eine der Forderungen des Epischen Theaters, dass die Handlung nicht allzu kompliziert oder besser noch dem Zuschauer bekannt sein sollte, damit der Zuschauer nicht durch das intensive Verfolgen der handlung von seinen Analysen abgelenkt wird. Der Zuschauer soll sich also nicht fragen, was als nächstes passiert, sondern vielmehr was passiert in dem Moment wenn etwas passiert.Wie man erkennen kann, ist das epische Theater schon starker Tobak! Brecht wollte die klassiche Theaterform dahingehend abändern, dass der Zuschauer nicht in die Illusion des Theaters „eingelullt“ wird, sondern sich bei der Vorführung vollkommen im Klaren darüber ist, wo er sich befindet und was er sieht. Ferner soll der Zuschauer aktiv werden im Denken, er soll das, was er sieht, bewerten und analysieren.
Hier nun einige Techniken des Epischen Theaters, die die Unterschiede zu den klassischen Theatertechniken deutlich machen.
Der Autor wendet sich unmittelbar an den Zuschauer
Titel, Gattung, Figurenname, Nebentext, Vorrede, Schrifttafeln, kommentierende Funktion der Figuren, Parodie u.a. Dadurch kann ich die Idee des Stücks viel deutlicher in den Vordergrund stellen und den Zuschauern klar machen. Also kann ich auf der einen Seite als Alexander de Cova, der Autor, auftreten und auf der anderen Seite auch als der „Schauspieler“, der die Figur des Zauberers nur zeigt (nicht verinnerlicht und spielt). Sehr spannend!
Eine spielexterne Figur (Erzähler) spricht den Zusachauer an
Chor, Prolog, Epilog, Sprecher, Spielleiter, Erzähler auf der Bühne erläutern und kommentieren die Handlung. Wunderbar! Ich brauche gar nicht darauf zu achten, dass die Handlung durch das Drehbuch ganz klar wird, sondern kann mich auf das Zeigen der Figur und Effekte konzentrieren. Die wesentlichen Dinge zum Verständnis der Handlung können durch die oben genannten Mittel aufgezeigt werden und bringen Spannung und Abwechslung ins Stück.
Spielinterne Figuren nehmen Verbindung zum Publikum auf
Figuren treten zeitweise aus der fiktiven Welt heraus und wenden sich den Zuschauern zu oder kommentieren das Geschehen. Einer der spannendsten Punkte. ich stelle mir vor, der „Zauberer“ agiert in seiner Rolle z. B. als eine Art Calgliostro. Und irgendwann „bricht“ der unvermittelt aus seiner Rolle, und spricht als Schauspieler die Zuschauer an. Da steckt auch ein großes Comedy.-Potiential drin!
Spielinterne Figuren geben dem Zuschauer in ihrem Dialog zusätzliche Informationen
Im Dialog teilen die Figuren Dinge mit, die innerhalb der fiktiven Welt nicht gesagt zu werden brauchen, die aber dem Zuschauer helfen, die Handlung des Stückes oder die Motive der handelnden Personen besser zu verstehen. Das trägt noch zum „Verfremdungseffekt“ bei.
Die Handlung wird relativiert
Handlungsfremde, nicht-szenische Formen (z. B. Textprojektionen, Schrifttafeln, Filmeinblendungen, Prolog, Epilog, Songs) geben dem Drama zwei verschiedene Horizonte, den begrenzten der dramatischen Figuren und einen erweiterten, welcher dem Zuschauer erschlossen wird (Kompositionsprinzip: Montage). Noch eine großartige Idee, wie man Gegenstände, die sich auf der Bühne befinden, dazu einsetzen kann. So kann ich mir durchaus vorstellen, dass auf einer Geistertafel plötzlich nicht (wie vielleicht von den Zuschauern erwartet) gewählte Worte erscheinen, sondern Hinweise auf die Handlung.
Die Handlung wird unterbrochen
Die Songs, Kommentare und anderen Einlagen unterbrechen den Gang der Handlung und verhindern eine Einfühlung des Zuschauers in Figuren und Handlung. So wird die dialektische Spannung zwischen dem Spiel und seiner kritischen Beurteilung aufrechterhalten. Auch das ist gut, um dem Stück „mehr Schwung“ zu geben. So bekomme ich endlich meine geliebte Musik in das Stück. Ich sehe mich da mit meiner Button Box ein paar Lieder spielen …
Die Handlung wird distanziert (verfremdet)
Durch die Montage widersprüchlicher Elemente und durch die Unterbrechung des Spiels sowie die distanzierte Spielweise der Akteure, welche sich nicht in Figuren verwandeln, sondern sie nur „zeigen“, entsteht ein Verfremdungseffekt („V‑Effekt“). Dem Zuschauer wird der Eindruck echter Gegenwärtigkeit genommen. Für mich sehr spannend, da Zaubereffekte ja von sich aus surreal sind (wenn sie gut gemacht sind). Ein herrlicher Kontrast: Der Zuschauer erlebt ein „Theaterstück“, das er analysiert und bei dem er sich vollkommen darüber im Klaren ist, wo er sich befindet und was er da sieht, aber er hat keine Ahnung, wie das, was er da sieht, eigentlich möglich sein kann bzw. wie es zustande kommt.
Die Handlung wird kommentiert (interpretiert)
In der „harten Fügung“ sind der spielinternen Handlung und Figurenrede spielexterne Elemente entgegengesetzt (Texte, Songs, kommentierende Figurenrede u. a.), die das im Spiel Dargestellte für den Zuschauer entschlüsseln und interpretieren. Wieder ein Mittel, um neue und abwechslungsreiche Elemente dem Stück hinzuzufügen. Langweilig wird so eine Aufführung also mit Sicherheit nicht!
Die Handlung kann fortgesetzt werden
Das Bühnengeschehen repräsentiert übergreifende historische Verhältnisse. Es ist daher gleichgültig, wo die Dramenhandlung einsetzt. Auch das Dramenende ist willkürlich, weil die Veränderung der aufgezeigten Verhältnisse Sache des Zuschauers ist. Da bin ich mir noch im so ganz im Klaren, welche „historischen Verhältnisse“ ich in meinem Stück da aufzeigen soll. Aber das kann ja noch kommen …
Mehr und mehr wird mir klar, dass dieses Theaterstück eine große Herausforderung an den Intellekt der Zuschauer darstellen wird. Auf der anderen Seite sehe ich aber auch die enormen Möglichkeiten, eine Geschichte (auch wenn sie noch so trivial erscheinen mag) derart interessant zu inszenieren, dass sie nicht in Klischees abrutscht oder gar langweilig wird.
Natürlich werde ich mich an die klassischen Theaterregeln halten und wichtige Dinge wie Plot, Darstellung und Spannung (Hitchcock) nicht vernachlässigen. Jedoch erscheinen mir die Form des Epischen Theaters und insbesondere die vielen stilistischen Mittel und Inszenierungstechniken immer interessanter. Es wird also wohl eher eine Art „Mischform“. Ein Stück, das eine Handlung hat, jedoch im Stile und mit den Mitteln des Epischen Theaters inszeniert wird.
Und da das Epische Theater teilweise auch die Handlung offen läßt, könnte ich mir zum Schluß schon sehr gut so etwas wie den letzten Satz aus Der gute Mensch von Sezuan vorstellen:
„Verehrtes Publikum, jetzt kein Verdruß:
Wir wissen wohl, das ist kein rechter Schluss.
Vorschwebte uns: die goldene Legende.
Unter der Hand nahm sie ein bitteres Ende.
Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen
den Vorhang zu und alle Fragen offen.“
Also doch mehr in Richtung „Underground“ Projekt und „avantgardistisches“ Theater. Auf jeden Fall außergewöhnlich und ansprechend, vielleicht wird es auch von vielen Menschen gar nicht verstanden werden. Egal, wer nicht wagt, gewinnt nicht …