Genauso wichtig wie die Auswahl der Kunststücke und des Materials ist die Art und Weise, wie man diese Kunststücke übt. Im Laufe der Jahre wurde ich immer wieder von ZauberkünstlerInnen gefragt, wie man denn richtig und vor allem effektiv übt. In diesen Gesprächen erfuhr ich dann auch von allen möglichen Problemen, die die Leute beim Üben hatten.
Im Endeffekt sind es immer die gleichen Dinge, die einem im Weg stehen, aber das ist ja nicht so schlimm. Zum Glück gibt es für alles eine Lösung oder ein probates Mittel, um das Problem aus der Welt zu schaffen.
Deshalb habe ich mich entschlossen, meine Erfahrungen der letzten vierzig Jahre mit dir zu teilen. Ich habe die verschiedensten Techniken ausprobiert und mit den Methoden, die ich hier vorstelle, die besten Ergebnisse erzielt. Das Ergebnis ist dieser kompakte Ratgeber, in dem du alles findest, was du brauchst, wenn es „mal wieder brennt“.
Ich wünsche dir viel Spaß und natürlich die Erfolge, die sich bei der Anwendung meiner Methode(n) sicher sehr schnell einstellen werden.
Contents
Das Material
Um effizient und zielorientiert üben zu können, brauchst du ein paar Dinge: Übungsheft, Filzi, Eieruhr (Küchentimer), Platz zum Üben, Zeit, Geduld, Motivation (Selbstüberlistungstaktiken), Mittel gegen Aufschieberitis (Prokrastination). Aber keine Angst, das ist alles viel einfacher, als es sich liest.
Das Trainingstagebuch
Ich kann gar nicht oft genug betonen, wie wichtig ein Übungstagebuch ist. Es verschafft dir einen Überblick über den Lernstoff und dokumentiert deine Erfolge. Ich verwende seit Jahren ein großes Notizbuch der Firma LEUCHTTURM 1917 im Format A4+. Das hat den Vorteil, dass man auch A4-Blätter (und sogar US-Letter-Format) bequem in das Notizbuch stecken kann. Das wirst du im Laufe der Zeit auch tun, denn das Übungsheft wird zu deinem Ideenspeicher. Das ist gut, denn so hast du alles, was mit deinen Tricks, Techniken und Routinen zu tun hat, an einem Ort. So musst du nichts mehr suchen und vergisst auch nichts mehr.
Das Tagebuch besteht aus einer einfachen Tabelle, in die du den Trainingstag, das zu übende Material und die Übungszeit einträgst. Natürlich bist du nicht verpflichtet, ein dickes Heft zu führen, du kannst schließlich benutzen, was du willst. Ich habe auch ein kleines Übungsheft in einem Moleskine-Notizbuch geführt, das ungefähr so groß ist wie dieses Handbuch. Das war praktisch, weil es gut in den Filz passte und so alles kompakt an einem Ort war. Im Laufe der Zeit bin ich dann aber auf das größere Format umgestiegen, eben wegen der Möglichkeit, A4-Blätter darin unterzubringen. Außerdem hat sich mein Notizbuch nahtlos in das Trainingstagebuch integriert.
Um einen Trainingsplan zu erstellen, machst du auf einer Seite eine Tabelle für eine Woche (oder zwei Wochen oder sogar einen Monat, wenn du so weit gehen willst). Dann legst du fest, an wie vielen Tagen in der Woche du trainieren möchtest. Das schreibst du in die Tabelle.
Dann entscheidest du, wie viel und vor allem was du an jedem Tag trainieren willst. Das ist schon alles. Damit ist klar, was du jeden Tag üben musst. Gut ist auch, wenn du nach jeder Übungseinheit eintragen kannst, wie lange du geübt hast.
Die Seiten nach der Wochenseite füllst du mit deinen Ideen (wie in einem Notizbuch), bis es Zeit ist, die nächste Woche zu gestalten. Das hat den Vorteil, dass du sofort sehen kannst, wann du diese Ideen hattest. Das große Leuchtturm 1917 Notizbuch hält so etwa zwei Jahre!
Der Filzi
Filzi ist ein Taschen-Organizer aus Filz. Google nach „Taschenorganizer“ und du wirst von der Vielfalt der angebotenen Modelle erschlagen sein. Er ist eine sehr praktische Sache und für meine Parcourstechnik unverzichtbar (dazu später mehr).
Der Filzi erspart die Suche nach Requisiten, die einer der Hauptgründe ist, nicht zu üben. Wenn man üben will und sich erst durch endlose Kisten, Schubladen und Schränke im Zauberzimmer, Hobbykeller oder Dachboden wühlen muss, um das Requisit für den einen Trick zu finden, dann ist der Schwung weg und man gibt auf und übt nicht.
Der Filzi verhindert das. Alles, was man zum Üben braucht, hat darin Platz (zumindest in 80% der Fälle). Man kann ihn unbemerkt irgendwo abstellen und ist mit einem Griff bereit für die Trainingseinheit!
Die Eieruhr
Ich benutze eine Eieruhr im Tomatenformat, weil ich ein Verfechter der „Pomodoro-Technik“ bin. Mr. Google erzählt dir mehr darüber, wenn du dich in diese Technik des Zeitmanagements vertiefen möchtest. Es lohnt sich, wenn man sich zum Beispiel vornimmt, an einem Tag fünfzehn Minuten für den Elmsley Count zu üben. Ich mag die analoge Eieruhr wegen des Tickgeräuschs. Das Klingeln, wenn die Zeit abgelaufen ist, macht auch viel mehr Spaß als das Piepen einer App.
Der Platz zum Üben
Schaffe dir einen Platz zum Üben! Meistens reicht ein großer Tisch. Dieser sollte leer sein, so dass nur die Dinge darauf liegen, die du übst. Mit der Filzmethode ist der Tisch auch schnell wieder für die Familie frei.
Die Zeit
Du musst dir Zeit nehmen, am besten eine feste Stunde am Tag. Wenn du ernsthaft vorankommen willst, dann ist „das mach ich dann, wenn ich Zeit habe“, denn dann passiert es sowieso nicht. Am besten schreibst du dir feste Zeiten in dein Tagebuch. Diese sind einzuhalten und helfen, dass das Üben schnell zur Gewohnheit wird (was ja das Ziel des Plans ist).
Geduld
Um richtig üben zu können, brauchst du neben Belastbarkeit, Ausdauer und Frustrationstoleranz vor allem Geduld. Oft will man eine Technik möglichst schnell erlernen und geht viel zu schnell (ungeduldig) vor. Denke immer daran: Wer langsam lernt, lernt schneller (alte Musikerweisheit)!
Lerne, die Techniken in kleine Stücke zu zerlegen und versuche nicht, die ganze Salami auf einmal zu verschlingen. Ein Sprichwort, das mir immer hilft, wenn ich merke, dass ich zu ungeduldig geworden bin: Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht!
Motivation
Ich gehe davon aus, dass dir das Zaubern Spaß macht, sonst würdest du es nicht machen. Da es aber in den meisten Fällen nur ein Hobby ist, nimmst du es vielleicht nicht ganz so ernst wie einen Beruf, bei dem eine entsprechende Motivation unerlässlich ist.
Wenn du aber ein paar Wochen lang jeden zweiten Tag an deinen Filzis arbeitest, wirst du merken, wie dir „der Sprit ausgeht“ und die Motivation nachlässt. Das ist völlig normal und die Erfolgreichen unterscheiden sich von den „Verlierern“ dadurch, dass sie Mittel und Wege haben, um die Motivationslöcher zu stopfen. Glaub mir – der Moment kommt, und dann ist es gut, Motivationstricks parat zu haben.
Aufschub
Ein wichtiges Thema. Du kennst das sicher: Wenn du erst mal drin bist, läuft alles wie am Schnürchen. Aber WENN man drin ist…
Aber du kannst Prokrastination vermeiden. Mache deine Trainingseinheiten zu einer festen Gewohnheit. Gleiche Zeit, gleicher Ort, gleiche Disziplin.
Wende die „5‑Sekunden-Regel“ von Lawrence Destiny an. Sie ist so einfach wie wirkungsvoll: Jedes Mal, wenn du etwas tun willst und anfängst, den Start hinauszuzögern (als ob du prokrastinierst), zählst du in Gedanken von 5 bis 0 (5 – 4‑3 – 2‑1 – 0) und bei 0 fängst du an! Probiere es einfach aus. Du wirst überrascht sein, wie einfach und effektiv das ist. Übrigens kannst du das in jedem Bereich deines Lebens machen. Für mich eine der wertvollsten und wichtigsten Techniken, die ich je kennen gelernt habe.
Die Filzi-Methode
Nun zu der Methode, die ich seit Jahren praktiziere. ZauberkünstlerInnen, die diese Methode angewendet haben, konnten mir von tollen Erfolgen berichten. Sie ist einfach, führt aber in kürzester Zeit und auf dem direktesten Weg zum Ziel.
Das Prinzip ist einfach: Du suchst dir sieben Dinge aus, die du üben möchtest. Das kann alles sein: eine kleine Seilroutine (oder bestimmte Griffe mit Seilen), der Elmsley Count, eine Palme, eine Würfelroutine usw.
Die Requisiten, die du für deine Übungen benötigst, kannst du in den Fächern des Taschenorganizers aufbewahren. Es empfiehlt sich auch, kleine Karteikarten (falls nötig) zu erstellen. Für jeden Griff, Trick oder jede Routine eine. Auf diesen Karteikarten notierst du wichtige Details zum jeweiligen Übungsobjekt. Dinge, die du nicht vergessen darfst oder auf die du achten musst. Die Idee hinter den Kärtchen ist, dass sie bei jedem Trick liegen, damit du die Informationen sofort zur Hand hast.
Jetzt kommt der Parcours. Ich nenne es Parcours, aber man könnte es auch Zirkeltraining nennen, denn das ist es im Grunde. Du legst jetzt deine sieben Tricks vorführfertig nebeneinander auf den Tisch und die Karteikarten, die du eventuell dazu hast. Die Bühne ist vorbereitet.
Jetzt ist es Zeit für ein paar Minuten Aufwärmübungen: Schultern, Handgelenke, Finger. Auf Atmung und Haltung achten! Einzelübungen, z.B. Mundharmonika, Handgelenke drehen, Finger strecken, Koordination. Sprechübungen gleich mitmachen! Eine weitere gute Übung ist das Zeitungsknüllen mit beiden Händen. Hier kommt die Küchenuhr zum Einsatz, fünf bis zehn Minuten reichen.
Dann geht’s los mit den richtigen Übungen. Nimm dir den ersten Trick, Griff oder was auch immer du gerade üben willst und führe ihn sieben Mal hintereinander aus. Achte darauf, dass du es sauber und nicht zu schnell machst. Sei dir der Übung immer bewusst! Konzentriere dich und sei dir bewusst, was du gerade machst, wie sich der Parcours anfühlt etc. Achte auf die Vollständigkeit der einzelnen Parcoursübungen, z.B. Griffe immer mit Intro und Outro üben.
Nachdem du die erste Technik sieben Mal geübt hast, gehst du zur nächsten Übung über und machst diese ebenfalls sieben Mal. Das Training ist beendet, wenn du alle sieben Tricks jeweils sieben Mal geübt hast. Jetzt kannst du die Requisiten wieder in den Filzi packen, der dann für die nächste Übung bereit ist.
Die besten Ergebnisse habe ich mit zwei Trainingseinheiten erzielt: eine am Morgen und eine am Abend vor dem Schlafengehen. Es ist aber auch gut, wenn man an drei oder vier Tagen einen Parcours in den Tagesablauf integrieren kann.
Ideal wäre:
7 Tage x 7 Übungen x 7 Wiederholungen, und das zweimal am Tag (morgens und abends).
Natürlich sind sieben Tage nur für wenige realistisch, und du wirst wahrscheinlich nicht morgens und abends einen Parcours absolvieren. Aber selbst wenn du nur an drei Tagen in der Woche einen Parcours durchziehst, hast du sieben Sachen geübt, und zwar jede sieben Mal, also jede Technik 21 Mal in der Woche, was auch nicht zu verachten ist. Das ist auf jeden Fall besser, als wenn du nur sporadisch und unregelmäßig trainierst.
Weitere Tipps
Gib deinem Gehirn die Zeit, die es braucht, um das Gelernte in Nervenbahnen und Verknüpfungen umzuwandeln. Das geschieht über Nacht, wenn das Gehirn alle möglichen Bau- und Reparaturarbeiten durchführt. Das ist die Zeit, in der sich der Lernstoff, vor allem die motorischen Fähigkeiten, festsetzen.
Ein guter Plan ist, den Parcours nur jeden zweiten Tag zu durchlaufen, unabhängig vom Wochentag. Der Tag dazwischen ist der Ruhetag, den dein Gehirn braucht. So kommst du viel schneller voran als mit sporadischen Marathonsitzungen und das Gelernte wird besser verankert. Pausen sind sehr wichtig, denn sie geben deinem Gehirn die Möglichkeit, seine Arbeit zu verrichten.
Langsam lernen! Nicht hetzen, sondern langsam und mit Bedacht vorgehen. Nicht Geschwindigkeitsrekorde sind gefragt, sondern Präzision. Nur wer einen Griff in Zeitlupe (!) richtig ausführen kann, hat die Technik verstanden und den Griff richtig gelernt. Die Schnelligkeit kommt automatisch, wenn das Muskelgedächtnis aufgebaut ist. Darum braucht man sich keine Sorgen zu machen. Motto: Wer langsam lernt, lernt schneller!
Übe manche Dinge ruhig ein paar Mal mit verbundenen Augen! Du wirst erstaunt sein, wie anders sich alles anfühlt und wie viele wichtige Informationen dabei zusätzlich verarbeitet werden.
Du kannst die Übungen vorher im Kopf durchgehen. Den Parcours mit geschlossenen Augen komplett im Kopf durchzugehen, ist eine Wunderwaffe. Das Gehirn macht bei der Bildung von Verknüpfungen keinen Unterschied, ob du nur in Gedanken übst oder tatsächlich.
Mit Musik üben, wenn es um Rhythmus geht. Verwende rhythmische oder gut akzentuierte Musik. Besorge dir eventuell ein Metronom.
Du kannst den Parcours in verschiedenen Schwierigkeitsgraden durchführen.
Weicher Parcours: Bei einem Fehler geht es weiter, bis die sieben Durchgänge erreicht sind.
Harter Parcours: Wenn du z.B. beim dritten Durchgang einen Fehler machst, musst du alle Durchgänge nochmal machen und darfst erst zur nächsten Übung übergehen, wenn du alle sieben Durchgänge fehlerfrei gemacht hast.
Ultra-harter Parcours (nur für Marines): Wenn eine Übung nicht klappt, geht es zurück an den Anfang des gesamten Parcours! 🙂
Übungen können manchmal in Etüden oder Endlosschleifen umgewandelt werden! Das spart Vorbereitungszeit und erhöht die Schlagzahl. Bei einem Elmsley Count z.B. übt man nicht nur den Count alleine, sondern sucht sich eine kleine Routine, in der der Count immer wieder vorkommt. Idealerweise etwas, das man dann auch vorführen kann oder wird.
Der Einsatz von mehreren Filzis und der wohlüberlegte Austausch von Übungen ermöglicht die sogenannte „spaced repetition“. Ein minutiös ausgearbeiteter Übungsplan ist dann allerdings Pflicht.
Nicht vergessen: Fleiß schlägt Talent.